Interview im Programmheft des Theaters Krefeld Mönchengladbach
zur Bühnenfassung der „Schule der Arbeitslosen“
Februar 2008
Die Fragen stellte Ulrike Barnusch
Herr Zelter, das „Maßnahmen-Center“ SPHERICON ist eine negative Utopie, die im Jahr 2016 spielt, inwieweit wollen Sie diese drastische Zuspitzung symbolhaft verstanden wissen?
Sphericon steht für Gesellschaften, die ihre innersten Probleme und Widersprüche gesellschaftlichen Minderheiten und Randgruppen anlasten. Arbeitslosigkeit ist ein solches Systemproblem. In der gesellschaftlichen Praxis wird es aber zu einem Problem Einzelner gemacht. Zu einer Sache von persönlichem Versagen und biographischen Fehlleistungen. Es wird unterstellt: Das Wirtschaftssystem per se ist in Ordnung. Wenn es darin einige Millionen Arbeitslose gibt, dann müssen diese Menschen eben durch besondere Maßnahmen umerzogen, flexibilisiert, angepasst werden.
Halten Sie es für denkbar, dass es eine Einrichtung wie SPHERICON eines Tages in Deutschland geben könnte?
Es gibt heute bereits Einrichtungen, die Spehricon ziemlich nahe kommen. Zum Beispiel sogenannte „Erlebniscamps“ in Brandenburg, in denen „schwer vermittelbare“ Jugendliche und andere Arbeitslose mit „multiplen Vermittlungshemmnissen“ geschickt werden. Es geht dort um die „intensive Erarbeitung arbeitsmarktgerechter Verhaltensweisen.“ Bereits die Sprache ist ein Grauen. Die Mitnahme von Handys ist verboten, der Verzehr von Speisen und Getränken nur nach Absprache mit den Mitarbeitern gestattet. Es werden Grundrechte eingeschränkt. Sphericon ist unserer Zeit kaum voraus, sondern in vielerlei Hinsicht längst Realität. Überhaupt scheint der Ruf nach harten Maßnahmen, Erziehungslagern oder Camps eine weitverbreitete „Lösungsvorstellung“ von Politikern, wenn es etwa um gewalttätige Jugendliche geht.
„Schule der Arbeitslosen“ ist ja auch eine drastische Abrechnung mit der Agentur für Arbeit. Gibt es da einen biographischen Hintergrund?
Ja, es gibt einen biographischen Hintergrund, der aber eher mit meinem Schriftstellerberuf zusammenhängt. Die Schriftstellerei weist zahlreiche Schnitt- und Berührungspunkte mit Arbeitslosigkeit auf. Man könnte sogar sagen: Die Schriftstellerei ist eine Form von sublimierter Arbeitslosigkeit. Ich kenne Autoren, deren durchschnittliche Einkünfte noch unter dem Niveau von ALGII liegen. Das Zurückgewiesenwerden ist eine Erfahrung, die viele Schriftsteller mit Arbeitslosen teilen. Bei Bewerbern sind es zurückgewiesene Bewerbungen und Lebensläufe, bei Autoren zurückgewiesene Manuskripte … Es handelt sich nur um unterschiedliche Varianten einer Gesellschaft, in der eigene berufliche oder kreative Fähigkeiten (welcher Art auch immer) nicht mehr gefragt sind, in der immer mehr Menschen bedeutet wird, dass sie überflüssig sind bzw. fehl am Platz, am falschen Ort, zur falschen Zeit, mit der falschen Ausbildung im falschen Berufsfeld. Die soziale Grunderfahrung unserer Zeit: der Einzelne alles ungewolltes, überflüssiges, immer wieder aufs neue abgewiesenes Wesen.
Hätten Sie Verständnis dafür, wenn ein Mensch nach jahrelanger Arbeitslosigkeit aus Verzweiflung heraus seinen Lebenslauf „schönt“, um einen Job zu bekommen?
Viele Langzeitarbeitslose haben mir berichtet, dass sie nach Jahren der Arbeitslosigkeit nichts anderes tun, als Lebensläufe zu schönen, umzuschreiben oder zu fiktionalisieren. Ein solches Vorgehen wird nicht nur Langzeitarbeitslosen, sondern nahezu jedem Bewerber als fast schon normal nahegelegt. Biographische Hochstapelei als kollektive Normalität, als Charaktermaske massenhafter Bewerbungen. Gemäß dem Motto: Nur ein Leben, das in superlativischen Höchstleistungen und biographischen Bestzeiten daherkommt, ist ein gefragtes und legitimiertes Leben. Während in früheren Zeiten Geld- und Sachwerte inflationiert wurden, müssen Menschen heute sich selbst inflationieren, insbesondere ihre Biografien. Lebensläufe verlieren dabei an existentieller Würde und Tragweite, und nicht nur Lebensläufe, sondern das Leben an sich. Wichtige Lebensabschnitte und Lebenserfahrungen werden (sofern sie nicht marktgerecht sind) umgedeutet, umgeschrieben oder getilgt. Menschliche Biografien werden zu beliebig gestalt- und negierbaren Konstrukten. Sie erscheinen als wegwerfbare Waren oder Restposten auf einem Bewerbermarkt, in dem nur noch Hochglanzvitae gefragt sind.
Wie kam es zu der Entscheidung, den Roman für die Bühne zu bearbeiten?
Ein Theaterstück kann man weniger leicht zurückweisen als einen Roman. Bei einem Roman (zumal bei einem politischen) kann der Leser sagen: Das stimmt doch alles nicht. Das ist maßlos übertrieben. Das glaube ich nicht. Und ich will es auch gar nicht glauben. Es gibt zahllose Filter, mittels derer ein Leser ein Buch auf Distanz halten kann. Anders das Theater. Das Mögliche oder Unmögliche der Literatur erfährt dort eine unmittelbar erlebbare Präsenz und Tatsächlichkeit. Ein Vorgang wird nicht einfach nur behauptet oder beschrieben, er findet auf der Bühne tatsächlich statt, mit real existierenden Menschen. Das Drama ist von viel größerer Wucht und Unmittelbarkeit als ein Roman, den man (wenn es unangenehm wird) jederzeit zuklappen kann.
Was halten Sie von der Entscheidung des Regieteams, das Stück teilweise in einem Zirkuszelt spielen zu lassen?
Ein Zirkuszelt eröffnet zahlreiche Spielformen und Assoziationen: zum Beispiel die des Dressiert- und Vorgeführtwerdens. Man denkt an auf Höcker platzierte Elefanten oder an Tiger, die durch brennende Reifen getrieben werden. Die Suche nach Arbeit als ausufernde Zirkusnummer: als Dressur, Clownerie und gnadenloser Wettkampf. Im Elisebethanischen Drama war die Bühne eine zentrale Weltmetapher. „Die ganze Welt ist eine Bühne.“ Vielleicht ist das Inbild unserer heutigen Welt ein Zirkuszelt.
Welche Reaktionen erhoffen Sie sich beim Theaterpublikum?
Ich hoffe auf Reaktionen lachender Wut. Wut über die Unmenschlichkeit der Behandlung von Arbeitslosen. Wut ist immer noch besser als Angst. Und ich hoffe auf das Lachen. Lachen ist eine Form der Erkenntnis und der Emanzipation. Es wäre schön, die Sprache der Neoliberalen, der Ökonomen und HartzIV-Adepten dem Lachen preiszugeben. Auch wenn einem womöglich das Lachen in diesem Stück im Halse stecken bleiben wird.