Thüringische Landeszeitung

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Montag, den 06.09.2010
Die Fragen stellte Hartmut Kaczmarek

 

 

Es drängen sich Parallelen zum Fall des früheren thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus auf. Wieviel Althaus ist in Urspring?

 

Die Ausgangssituation in meinem Roman ist eine ähnliche wie beim ehemaligen thüringischen Ministerpräsidenten. Ein Ministerpräsident hat einen Unfall und liegt einige Zeit im Koma. Was dann folgt, ist in meinem Roman jedoch frei erfunden. Claus Urspring, mein Ministerpräsident, ist eine fiktive Figur. Er ist ein Ministerpräsident wie ich ihn mir als politischer Laie vorstelle.

 

Haben Sie sich bei der Beschreibung anderer Personen in Ihrem Roman – beispielsweise des Beraters März oder des Fraktionsvorsitzenden – an realen Personen orientiert, weil es auffällige Parallelen zu Personen im Umfeld von Herrn Althaus gibt? Oder ist es reine Fiktion, weil im Umfeld von Spitzenpolitikern Berater und Mitarbeiter eben so „ticken“, wie Sie sie beschreiben.

 

Ich muss gestehen: Ich kenne die thüringische Landespolitik überhaupt nicht. Der Roman spielt in Baden-Württemberg, weil mir dieses Terrain wesentlich vertrauter ist. Mein Roman könnte aber genauso gut in jedem anderen Bundesland spielen. Ich sehe meinen Roman als politische Satire, und es ist ein wesentliches Kennzeichen der Satire, dass sie nicht real existierende Personen abbildet, sondern vielmehr eine Gattung, eine Typologie, eine Struktur beschreibt.

 

Sie beschreiben und überspitzen den Politikbetrieb in Ihrem Roman. Lautet Ihre Botschaft: Vergesst hinter dem Politiker den Menschen nicht? Beispielsweise wenn Sie schreiben: Es geht im Wahlkampf nicht um einzelne Menschen, sondern um Mehrheiten.

 

Eine wichtige Figur in Shakespeares Königsdramen ist der Narr. In meinem Roman sind Narr und Herrscher eine Person. Mein Ministerpräsident ist einerseits Amtsträger, aber er erlebt sein Amt nach seinem Unfall in völliger Ahnungs- und Arglosigkeit. Genau deshalb kann er an den politischen Betrieb fundamental kritische Fragen richten. Gleich einem arglosen Kind. In einer Art und Weise, wie das ein „funktionierender“ Politiker niemals könnte. Mein Ministerpräsident kann damit alles und jeden, ja sogar sich selbst immer wieder in Frage stellen. Dies eröffnet meinem Roman eine menschliche und zugleich systemkritische Perspektive.

 

Haben Sie in Thüringen recherchiert und wenn ja, welche Quellen haben Sie benutzt?

 

Ich recherchiere eigentlich nie beim Schreiben meiner Romane. Ich schreibe eher intuitiv, schöpfe aus meiner Phantasie, setze voraus, dass Politik oftmals in gleichförmigen, immer wiederkehrenden Strukturen abläuft. Machiavelli schrieb zum Beispiel vor annähernd 500 Jahren: Nichts sei in der Politik notwendiger als der Schein. Man könnte diesen Satz unbelassen auch auf die heutige Politik übertragen. Erst recht, wenn die gesamte politische Existenz eines Amtsträgers auf Wahl bzw. Wiederwahl gründet.

 

Wollen Sie mit Ihrem Buch auch auf die teilweise Unmenschlichkeit des Politikbetriebs aufmerksam machen, der Personen nur noch instrumentalisiert?

 

Man kann es Unmenschlichkeit nennen, aber auch Entfremdung, die Entfremdung des Politikers von sich selbst oder von dem, was er tatsächlich für richtig hält. Die eigene Persönlichkeit, die eigene Überzeugung verschwindet dabei hinter einem Panzer vorgestanzter Phrasen, hinter einer Charaktermaske oder einem inszenierten Als-Ob. Sehr vieles dabei ist gesinnungsethische Wirkungsästhetik und wahltaktische Fehlervermeidung, stets getrieben von dem Primat von Meinungsumfragen und Sonntagsfragen.

 

Das Polit-Playback ist eine Überspitzung für die Worthülsen, die im Wahlkampf gang und gäbe sind. Welche Form des Wahlkampfes würden Sie den Politikern empfehlen?

 

Das weiß ich nicht. Der Ministerpräsident in meinem Roman hält den Wahlkampf irgendwann nicht mehr aus und fährt mit dem Fahrrad seinem eigenen Wahlkampf davon. Vielleicht sollte man das Politikern empfehlen.

 

Wie sind Sie auf das Thema aufmerksam geworden? Durch den Unfall von Ex-MP Althaus und die darauffolgenden Ereignisse?

 

Durch die Abendnachrichten, durch Zeitungsartikel. Doch dies war nur ein äußerer Anstoß. Es gab auch schon andere Ministerpräsidenten in der Geschichte der Bundesrepublik, die kurz vor einem Wahlkampf verunglückt sind, zum Beispiel Uwe Barschel, der in den achtziger Jahren vor einem Wahlkampf mit einem Flugzeug abgestürzt ist. Was mich in all meinen Romanen immer interessiert: die Komik und Tragik von Menschen, die eine Rolle ausfüllen sollen, die sie (wie etwa nach einem Unfall) gar nicht mehr wirklich ausfüllen können. Mein Ministerpräsident gleicht einem Schüler, der etwas lernen oder sich aneignen soll, das er gar nicht (mehr) wirklich will oder begreift. Nicht ohne Grund heißt mein Ministerpräsident Urspring, das ist der Name meiner früheren Schule. Mein Roman ist deshalb nicht nur ein politischer Roman, sondern auch ein Existenz-, ein Erinnerungs-, ein Schulroman. Es geht darin auch um ganz allgemeine Themen wie Eigenständigkeit, Fremdbestimmung und Entfremdung.

 

Sie hinterfragen auch die Personifizierung der Politik: „Wie kann ein einzelner Mensch Hunderttausende von Arbeitsplätzen retten?“, fragt an einer Stelle die behandelnde Ärztin. Ist Ihnen die Politik zu sehr verkürzt, nicht an der Sache orientiert?

 

Nietzsche schrieb einmal: Denn nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt gerechtfertigt. Der Satz gilt heute mehr denn je auch für die Politik. Der reale sachpolitische Handlungs- und Entscheidungsspielraum ist für einen Ministerpräsidenten heute eher gering. Was als Differenzkriterium zwischen den Politikern oder den Parteien bleibt, das ist die Personifizierung, die Inszenierung, die gesinnungsethische Wirkung von Sprache. Nicht ohne Grund weiß mein Ministerpräsident noch nicht einmal, welcher Partei er eigentlich angehört. Das ist heutzutage auch fast unerheblich.

 

Welche Botschaft sollten die politischen Akteure aus Ihrem Roman und aus dem Fall Althaus ziehen?

 

Ich möchte mit meinem Roman keine Botschaften übermitteln, sondern eher zum Nachdenken anregen. Vielleicht sollte jeder Politiker sich einen Narren zulegen. Gemäß dem Satz von Shakespeare: That fools may speak wisely what wisemen do foolishly.

 

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