Neue Westfälische

WEITERE INTERVIEWS

 

Nr. 301. 29./30. Dezember 2007
Die Fragen stellte Sigrid Lehmann-Wacker

 

Herr Zelter, wie nah ist Ihre düstere Zukunftsvision an Hartz IV?

 

Je länger der Roman auf dem Markt ist, seit 2006 also, desto eher scheint er der Wirklichkeit hinterherzuhinken als ihr vorauszueilen. Im Land Brandenburg sorgten jüngst so genannte „Päd-Camps“ für Aufsehen, in die „schwer vermittelbare“ Jugendliche geschickt wurden, um sie dort von Grund auf für den Arbeitsmarkt fit zu machen. Die Mitnahme von Handys wurde ihnen verboten, der Verzehr von Speisen und Getränken war nur nach Absprache mit den Mitarbeitern gestattet, Grundrechte wurden eingeschränkt.

 

Wie kamen Sie darauf, diesen Roman zu schreiben?

 

Freunde von mir haben in solchen Maßnahme-Einrichtungen selbst unterrichtet, so hatte ich die Gelegenheit, mir einige einmal genauer von innen anzuschauen. Die Teilnahme an derartigen „Maßnahmen“ hat nicht selten Zwangscharakter. Der ganze Grundansatz der BA widerspricht letztendlich dem 12. Artikel des Grundgesetzes. Dort steht: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden.“ Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wir fügen aber im Stillen hinzu, „sofern er Arbeit hat.“

 

Viele der neuen Lehrer und sonstigen Verwalter der Arbeitslosigkeit waren selbst lange arbeitslos, bevor sie diese Jobs bekamen.

 

Genau – in „Sphericon“ werden längst keine wirklichen Stellen mehr verhandelt. Die einzige Stelle, um die sich die Trainees tatsächlich bewerben können, ist die Stelle eines zusätzlichen Trainers. Die Verwaltung von Arbeitslosigkeit schafft also Arbeit. Dabei dürfen Menschen, die Arbeit haben, wie zum Beispiel die Trainer, sich über andere stellen. Diese Art von Ausbeutung und Machtmissbrauch habe ich versucht in meinem Roman sowie in der Bühnenfassung darzustellen.

 

Hauptmerkmal ist Ihr brillanter Sprachstil, der die Phrasen der New Economy ad absurdum führt. Wie haben die Theatermacher die Botschaft des Dramas umgesetzt?

 

Sprache ist ein eigener Akteur in der Kunst, nicht nur Füllmaterial. Ich musste bei der Premiere in Osnabrück stark schlucken. Nina Gühlstorffs Inszenierung weicht an vielen Stellen von der Sprache des Romans und meiner Stückvorlage ab. Der Roman ist eine Schreckutopie in der Tradition von Orwell und Huxley. Er kritisiert totalitäre Tendenzen unserer arbeitszentrierten Gesellschaft. Die Osnabrücker Inszenierung hat diesen Schrecken bagatellisiert, ihn teilweise sogar ins Operettenhafte verkehrt. Von der Premiere in Senftenberg war ich begeistert. Sie ist werkgetreu, schauspielerisch hervorragend und voller Achtung vor dem Thema.

 

Ab Februar laufen auch noch in Krefeld und Mönchengladbach Aufführungen der „Schule der Arbeitslosen“.

 

Als Autor ist es natürlich spannend, die unterschiedlichen Auffassungen von Inszenierungen zu sehen. Die Inszenierungen in Krefeld und Mönchengladbach werden auf jeden Fall nah am Text bleiben.

 

An den Berufsbildenden Schulen in Osnabrück beschäftigen sich momentan etwa 800 Schülerinnen und Schüler mit der „Schule der Arbeitslosen“ und werden auch eine der Vorstellungen besuchen. Trägt Ihr Werk zur aktuellen politischen Diskussion bei?

 

Es haben sich viele Schüler bei mir gemeldet, mit einigen bin ich per Email in Kontakt. In Senftenberg saß ich, ohne dass ich als Autor erkannt wurde, bei der Generalprobe unter jungen Arbeitslosen und hörte immer wieder Zustimmung, etwa: „Oh ja, das wird auch noch passieren.“ Oder: „Irgendwann werden auch wir nach Sierra Leone ausgeflogen.“

 

Wie sehen Sie selbst in die Zukunft?

 

Für mich gibt es nur zwei Wege: Der eine führt in den Totalitarismus, der andere löst sich vom alten Arbeitsbegriff. Ich bin für ein bedingungsloses Grundeinkommen.

 

 

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